Montag, 9. November 2015

Technobabble: Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) VI

In einem Artikel des Musikmarkt habe ich unlängst diese schöne Grafik gefunden, die den ganzen Vinyl-Hype so herrlich anschaulich illustriert hat:

Grafik: Billboard
Wow - das geht ja richtig ab durch die Decke - alle Welt kauft also nur noch Vinyl und zwar inzwischen dreimal mehr als CDs und Downloads? - Ist ja der Hammer - naja, jetzt nicht ganz unerwartet, schreiben doch alle Gazetten dasselbe: Vinyl boomt unglaublich und hat die CD längst abgelöst, keiner kauft noch den silbernen Plastikschrott, sondern alle Welt gibt sich wieder dem ach so beruhigendem Rillenrauschen mit Lagerfeueratmo hin! Wunderbar. Priceless.

Diese Grafik ist ein schönes Beispiel für die übliche Desinformation, mit der in nahezu allen Medien gearbeitet wird, wo von einem "Vinyl-Boom" zu lesen ist. Hier nur auf die Spitze getrieben.
Die Kurven für sich genommen sind dabei nicht falsch - sicherlich haben die Vinylverkäufe zugenommen und dass die Verkaufszahlen für CDs und Download abgenommen haben, ist ebenfalls zutreffend. Ich halte es nur für überaus unseriös, diese Kurven -jedenfalls so wie in dieser Grafik- nebeneinander zu stellen. Denn es soll ja ein direkter Vergleich zwischen beiden Kurven impliziert werden - dies ist jedoch nicht möglich, wenn den Kurven zwei unterschiedliche Maßstäbe (für die y-Achse) zugrunde liegen. Wenn man genau hinschaut und auch den Text liest, wird man schnell feststellen, dass die Vinylkurve um den Faktor 100 vergrößert dargestellt ist. Würde man beide Kurven im selben Maßstab bringen, wäre die Bildaussage weit weniger spektakulär:

Bereinigt: Beide Kurven im selben Maßstab
Genau hinschauen: der schmale rote Streifen untem am Rand sind die Vinylverkäufe - ich habe mir die schwarze Linie mit dem Pfeil gespart, weil diese sonst das Rot komplett bedeckt hätte. Und ich habe dabei sogar noch aufgerundet: die rote Kurve hatte in der Originalgrafik noch ein Maximum von 297 vertikalen Pixeln - ich habe sie auf 3 Pixel reduziert (bei natürlich unveränderter horizontaler Pixelzahl).
Sieht jetzt echt explosiv aus! ;)


Der Vergleich zwischen beiden Kurven ist übrigens auch noch aus einem anderen Grund unzulässig - die Digitalkurve ignoriert nämlich, dass die Verkaufszahlen hauptsächlich deswegen zurückgegangen sind, weil die Hauptzielgruppe der Musikkonsumenten mehr und mehr zu Streaming-Diensten wie "Spotify" wechselt - mithin eine weitere Art, Musik digital zu konsumieren, die hier jedoch offensichtlich unberücksichtigt bleiben sollte, weil die Kurve sonst auf dem Niveau von 2010 stehen geblieben oder vielleicht sogar wieder angestiegen wäre, statt weiter so anschaulich zu fallen.
Ich darf mal Wikipedia zitieren, um zu zeigen, dass das keine marginalen Zahlen sind:
"Im Jahr 2011 machte Streaming inklusive der werbefinanzierten Angebote 11,5 Prozent der digitalen Umsätze mit Musik aus, 2013 waren es bereits 20 Prozent. Der Gesamtumsatz mit Abostreaming überschritt in diesem Jahr [2014, Anm. tom] die Grenze von 1 Milliarde US-Dollar bei einem Gesamtvolumen des weltweiten Musikmarkts von 15 Milliarden. Damit löste das Streaming als wachsender Markt die Musikdownloads ab, die parallel dazu das schnelle Wachstum der davor liegenden Jahre nicht mehr fortsetzen konnten."


Die nächsten Folgen dieser Serie:
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) VII
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) VIII 

Die früheren Folgen:
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) I
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) II
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) III
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) IV
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) V

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