Dienstag, 21. November 2017

SWEET - Sensational Sweet (Chapter 1 - The Wild Bunch 1971 - 1978)

Abb: Amazon
Am 17.11.2017 ist eine neue Sweet-Box (9 CDs) erschienen: Enthalten sind die sechs Studioalben "Funny how sweet Co-Co can be", "Sweet Fanny Adams", "Desolation Boulevard", "Give us a wink", "Off the record" und "Level headed", jeweils mit einem Haufen  Bonustracks, plus eine CD mit dem kompletten Rainbow-Konzert von 1973, eine CD mit allen Non-Album-Single-Tracks und eine CD mit BBC-Sessions. Schöne stabile Kiste mit einem separaten, 52seitigen Booklet. Das alles zu einem Preis von unter 50 Euro. Auf den ersten Blick nicht schlecht - wenn ich nicht das meiste davon schon hätte...

Aber ich hab' mir die Box trotzdem mal etwas näher angeschaut und die CDs der neuen Box mit den bereits veröffentlichten CDs, sowie die Bonustracks oder Alternativversionen auf den diversen früheren Samplern miteinander verglichen.

Ziemlich enttäuschend ist, dass in der neuen Box gerade mal neun Demo- oder Alternativversionen wirklich "previously unreleased" zu sein scheinen; den Rest gab es schon auf diversen anderen Veröffentlichung auf diversen Independent-Labels. Diese Aufnahmen stammen aus der Privatsammlung von Gitarrist Andy Scott, der sicherlich ein Interesse daran hat, dass diese immer noch lieferbaren CDs nicht vollständig obsolet werden. Die Tonqualität schwankt (naturgemäß) zwischen Top-Studioqualität und verrauschter Heimaufnahme. Leider fehlen viele wichtige Outtakes und Alternativmixe von nahezu allen Singles, darunter auch Kostbarkeiten wie die kombinierte Originalversion der nur getrennt veröffentlichten Songs Laura Lee und Show Me The Way. Auf den drei 1998 bei "Fox Records" erschienenen Samplern "The Hard Rock Tapes", "Previously Unreleased Tracks + Versions" und "Only The Best" finden sich trotz vieler Überschneidungen immer noch gut 20 Stücke, die es weder in der neuen Box, noch woanders gibt. Schade auch, dass die beiden letzten Aufnahmen mit Brian Connolly für das Album "Cut above the rest" (er wurde während der Sessions gefeuert), Log One (That Girl) und Play All Night nicht enthalten sind. So ist man als Sammler mindestens auch noch auf den Repertoire-Sampler "Platinum Rare" (1995) angewiesen.

"The Sweet at the Beeb" (Disc 9 in der Box) vereinigt BBC-Aufnahmen aus den Anfangsjahren und diese haben teilweise doch sehr bescheidene Qualität. Ärgerlich ist auch, dass Done me wrong all right (eins der beiden bereits zuvor veröffentlichten Stücke) nur in einer gekürzten Version enthalten ist - es fehlt sowohl am Anfang als auch am Ende ein Stück. Ein bisschen seltsam mutet es auch an, dass hier vier Aufnahmen aus der Zeit vor Andy Scott enthalten sind, wo doch die vier erfolglosen Singles aus dieser Phase (1968-70) in der Box fehlen.

Und die "Live at the Rainbow"-CD (Disc 8) enthält natürlich wieder nur die Mono-Version vom Soundboard-Mitschnitt dieses Konzerts, leider nicht die auf der originalen "Strung Up"-LP erschienenen Stereomixe von der 16-Spur-Aufnahme (dort gab es seinerzeit das Problem, dass die Snare versehentlich nicht mit aufgenommen worden war, weshalb Mick Tucker die Snarebeats im Studio nachspielen musste). Da "Strung Up" nicht das komplette Konzert enthielt, hat er das nicht bei allen Stücken gemacht, daher wurde bei fast allen nachfolgenden CD-Veröffentlichungen mit dem kompletten Konzert - übrigens auch bei der 2016er "Restored Edition With Bonustracks" - jeweils der Mono-Mitschnitt verwendet. Das ist insofern verständlich, als dass sich die nur in Mono existierenden Stücke mit den vorhandenen Stereo-Mixen nicht gut zusammenstellen lassen (ich hab's probiert), zu unterschiedlich ist der Sound. Den (kürzeren) Stereomix hat allein die japanische CD "Anthology" (1992) - unter diesem Titel war "Strung Up" bereits 1975 in Japan erschienen.

Und wenn wir dann schon beim Meckern sind - die Non-Album-Single-Tracks auf eine Extra-CD (Disc 7) zu packen, ist ein Konzept, das man durchaus vertreten kann. Ob man diese dann leicht irreführenderweise "The Lost Singles" nennen muss, sei dahin gestellt. Denn es sind hier keineswegs Raritäten oder sonstwie "verlorene" Songs enthalten. Wer die 2005er Remaster-Serie hat, findet dort alles als Bonustracks auf den jeweils zeitnah erschienenen Alben - eine gängige Reissue-Methode, die ich grundsätzlich befürworte, denn meist stammen die Single-Tracks ohnehin von denselben Aufnahmesessions und wurden nur aus Markt-strategischen oder Spieldauer-bedingten Gründen nicht bei der originalen Album-Tracklist berücksichtigt. So enthielt das Debütalbum "Funny how sweet Co-Co can be" (1971) ohnehin die beiden bis dahin erschienenen (und namensgebenden) RCA-Single-A-Seiten, sowie die B-Seite Jeanie der vierten (Poppa Joe), da war es schon sinnvoll, die fehlenden Single-only-Tracks aus dieser Zeit hinzuzufügen. Vorteil dabei auch: man hat den ganzen, doch eher grenzwertigen Bubblegum-Kram aus der Anfangszeit auf einer CD versammelt, die sich dann besser ignorieren lässt. 😎
"Sweet Fanny Adams" (1974) in der Version von 2005 war jedenfalls durch die Hinzunahme der drei absolut passenden 1973er Hit-Singles Blockbuster/Need a lot of lovin', Hell Raiser/Burning und Ballroom Blitz/Rock'n'roll disgrace noch besser geworden.
In der neuen Box bekommt man stattdessen Outtakes und Alternativmixe der Albumsongs, manche davon auch in hörbar schlechterer Tonqualität - was bedeutet, dass man die Alben in dieser Form wohl nur selten komplett hören wird. Zudem ist es ein wenig ärgerlich, dass man das Konzept dann nicht konsequent durchgehalten hat: "Level Headed", das letzte Album mit Brian Connolly von 1978, hat die vier Single-Tracks aus dieser Zeit doch wieder als Bonustracks nach den Albumtiteln (weitere Bonustracks gibt es in Form von Rehearsal- und Demo-Versionen ganz am Ende). Da fragt man sich schon, was sich der Chef-Compiler von RCA dabei gedacht haben mag.
Sicherlich wäre man ansonsten mit einer "Lost Singles"-CD nicht ausgekommen. Denn auch ohne die "Level Headed"-Singles sind es bereits 24 Tracks mit einer Gesamtspielzeit von sagenhaften 83:22 min - hier ist man also weit über die in der "Red Book"-Spezifikation erlaubte maximale Laufzeit einer CD hinausgegangen - hoffen wir mal, dass diese Disc in allen Playern störungsfrei läuft. Sicher sein kann man sich da nicht.

Schließlich habe ich mir dann noch angeschaut, ob sich im Vergleich zu den Remastering-Versionen von 2005 irgendwas am Sound geändert oder gar verbessert hat. Ob das Mastering vielleicht besser im Sinne von: weniger Spitzenwert-limitiert ist.
Dazu habe ich je einen Track der jeweiligen Studioalben miteinander technisch verglichen. Resultate:

Co-Co (Funny, How Sweet Co-Co Can Be) - 2005: -13,82 LUFS*, 2017: -16,91 LUFS, Diff: -3,1 dB
Set Me Free (Sweet Fanny Adams) - 2005: -11,37 LUFS, 2017: -12,56 LUFS, Diff: -1,2 dB
The Six Teens (Desolation Boulevard) - 2005: -10,96 LUFS, 2017: -11,46 LUFS, Diff: -0,5 dB
The Lies In Your Eyes (Give Us A Wink) - 2005: -12,65 LUFS, 2017: -12,94 LUFS, Diff: -0,3 dB
Fever Of Love (Off The Record) - 2005: -11,69 LUFS, 2017: -12,06, Diff: -0,4 dB
*LUFS = Loudness Units relative to Full Scale

Einen wahrnehmbaren Lautheitsunterschied gibt es also offenbar nur beim ersten Album, die Differenzen der letzten vier sind zu unbedeutend um sich hörbar auszuwirken.
Besonders bei Co-Co, das ja jetzt immerhin 3 dB leiser ist als 2005, kann man an der Wellenform sehr schön sehen, dass die Spitzen hier immer noch gekappt sind, nur eben auf der Höhe von -3 dBFS. Natürlich verbessert sich so auch nicht der Sound. Es verschlechtert sich vielmehr der Störabstand und die digitale Auflösung. Natürlich nur minimal, weshalb dies soundmäßig nicht ins Gewicht fällt. Trotzdem ist das schon ein wenig peinlich für die Plattenfirma, die das zu verantworten hat. Sicherlich wollte man der Kritik aus 2005 begegnen, die damals schon das zu laute Mastering gerügt hatte, aber so geht das natürlich nicht - das ist Augenwischerei!

Außer Konkurrenz (weil mir nur die alte Repertoire-CD-Version von 1998 vorliegt):
Love Is Like Oxygen (Level Headed) - 1998: -19,48 LUFS, 2017: -14,93 LUFS, Diff: +6,5 dB
Hier klingt tatsächlich - obwohl lauter und jetzt auch Spitzenwert-limitiert - die Box-Version besser. Vermutlich hat man aber auch hier nur das 2005er Remaster genommen, das damals vom Lizenznehmer Lemon Records/Cherry Red erstellt wurde.

Fazit: ein Remastering im Sinne von Klangverbesserung hat effektiv bei dieser Box nicht stattgefunden! Bei allen Alben sind die Frequenzkurven, die Aufschluss geben über Klangveränderungen, komplett identisch. Man hat also tatsächlich nur die Pegel der verwendeten 2005er Master mehr oder weniger stark abgesenkt; es gibt daher weder Klang- noch Dynamikunterschiede. Zusammen mit den beobachteten Merkwürdigkeiten bei der Auswahl der Bonustracks und -CDs kann ich hier nur bedingt eine Kaufempfehlung aussprechen - nur für den, der die 2005er Versionen noch nicht hat.


Nachtrag: ab dem 25.05.2018 sind die CDs aus der Box auch einzeln erhältlich, identisch in Aufmachung und Inhalt - ausgenommen sind leider die CD mit den BBC-Aufnahmen und "Level Headed" (vermutlich aus lizenzrechtlichen Gründen, da es sich hierbei nicht um RCA-Material handelt).


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